Unser subjektives Zeitempfinden eignet sich nicht zur exakten Zeitmessung – eine Stunde auf den Bus zu warten erscheint uns bedeutend länger als eine Stunde in einem spannenden Buch zu lesen. Sylvie Droit-Volet und Michael Dambrun gehen davon aus, dass wir uns bei der Einschätzung des vergangenen Zeitraums unserer inneren Zustände bewusst sind, die von Emotionen und Körperzuständen geprägt werden [1].
Während einer Achtsamkeitsmeditation kann sich der Bewusstseinszustand bei erfahrenen Praktizierenden ändern. Wie sich dadurch auch die Wahrnehmung der Zeit ändert, haben die beiden Psychologen untersucht und in ihrem Artikel in der Zeitschrift PsyCh Journal veröffentlicht.
Meditierende nehmen Zeit anders wahr
Für ihre Untersuchung haben die Psychologen 4 erfahrene Meditierende befragt, die zwischen 1.400 und 18.200 Stunden Sitzmeditation praktiziert haben. In der ersten Phase bezogen sich die Fragen
zur Selbst- sowie Zeitwahrnehmung auf Alltagssituationen. In der zweiten Phase wurden dieselben Fragen in Bezug auf meditative Zustände gestellt.
Im Alltag nehmen die Befragten sich selbst und die Zeit teils sehr unterschiedlich wahr. Doch in ihrer Meditation scheinen alle sehr ähnliche Erfahrungen zu machen. Hier erhielten die Psychologen manchmal fast identische Antworten. So berichten die Meditierenden in der Meditation über eine Abnahme ihrer persönlichen Identität.
Während einer tiefen Meditation verschwinde die Zeit, sodass deren Geschwindigkeit nicht mehr beurteilt werden könne. Außerhalb der Meditation sei die innere Zeit hingegen elastisch und hänge von den täglichen Aktivitäten ab.
Selbst-Bewusstheit beeinflusst die Wahrnehmung von Zeit
Die Auswertung der Befragung unterstützt die Annahme, dass die subjektive Beurteilung einer inneren Dauer eng mit der Bewusstheit über ein Selbst oder ein Ich und unserer subjektiven
Körpererfahrung verknüpft ist. Wenn also eine Meditationsübung das Bewusstsein für dieses Selbst verändere, ändere dies auch das Gefühl der inneren Dauer und damit das Urteil des Zeitablaufs, so
die beiden Autoren.
Außerdem legen diese wie auch vorangegangene Ergebnisse von Berkovich-Ohana eine Verbindung zwischen dem Zeitgefühl und dem Körpergefühl nahe, das in das verkörperte Selbst eingebettet ist.
Interessanterweise sind die bei einer tiefen Meditation aktivierten zerebralen Regionen dafür bekannt, auch beim Körperbewusstsein eine Rolle zu spielen.
Bei der Wahrnehmung von Zeit sind noch viele Fragen offen. Die französischen Psychologen halten die Untersuchung von Bewusstseinszuständen, die durch Meditation verändert sind, aber für einen
viel versprechenden Ansatz, um einige der Fragen beantworten zu können.
Literatur
1. Droit-Volet S, Dambrun M. Awareness of the passage of time and self-consciousness: What do meditators report? Psych J 2019;8:51–65. https://doi.org/10.1002/pchj.270